Unser Wald im Wandel

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Unser Wald im Wandel

„Nach Corona wird nichts mehr so sein, wie es war!“ Diese von Politikern und manchen Wissenschaftlern gern zitierte Einschätzung der nachhaltigen Veränderungen in unseren sozialen und zwischenmenschlichen Beziehungen ist bislang nur eine Theorie, eine Hypothese – ganz anders sieht es beim Wald aus: In zwei Jahrzehnten, vielleicht aber auch schon früher, wird unserer heimischer Wald anders aussehen als noch vor wenigen Jahren. Aber es wird ihn noch geben! Zu unserem Glück! Eine Analyse.

Unser Wald hat schon viel erlebt, er hat schon viel mitgemacht. Stürme und andere Wetterkatastrophen gab es immer, gleichwohl: Der Wald hielt wacker durch. Doch im Laufe der Jahrhunderte sorgte der Mensch für weitere Katastrophen im fein gestrickten Ökosystem Wald: So hatten etwa die Etrusker schon im 7. Jahrhundert v. Chr. einfache Hochöfen, um Erze zu verhütten. Um diese zu betreiben, bedurfte es tonnenweise Holzkohle, die bis in die frühe Neuzeit hinein auch bei uns im Sauerland wie im Bergischen Land genutzt wurde. Erinnert sei nur an die Luisenhütte in Balve. Für Holzkohle braucht man, wie der Name schon sagt, jede Menge Holz – mit fatalen Folgen: Die Etrusker haben es wohl „geschafft“, dass die erzreiche Insel Elba spätestens im 5. Jahrhundert v. Chr. völlig entwaldet war.

Schon in der Antike ganze Wälder
für Hochöfen abgeholzt

Für den Schiffsbau wurden im Mittelalter und in der frühen Neuzeit ganze Wälder abgeholzt. Des Holzes als Wärmespender und Rohstoff für mannigfaltige Produkte (man denke nur an Türen und Dächer!) bedienten sich die Menschen zu allen Zeiten – besonders in Jahren der Not, die nicht einmal drei Generationen zurückliegen: Im Berliner Tiergarten standen ursprünglich ca. 200.000 Bäume. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war ihre Zahl auf 900 reduziert. Die Berliner hatten, der Not gehorchend, Bäume gefällt, zu Brennholz verarbeitet und stattdessen im Tiergarten Kartoffeln und Gemüse angebaut. In den Nachkriegsjahren sorgten Baumspenden aus allen Teilen Westdeutschlands für die Wiederaufforstung des Tiergartens. Mit dabei unser SGV, der 1958 zum „Tag des Baumes“ 300 junge Eichen an die kriegsgebeutelte Stadt überreichte. Ein Denkmal erinnert bis heute an diese Spende. Dann kamen die 1970er- und 1980er-Jahre und mit ihnen der „Saure Regen“. Das „Waldsterben“, so das griffige Wort jener Zeit, machte die verheerende Runde, hervorgerufen durch jährlich 3,5 Millionen Tonnen Schwefeldioxid aus Kraftwerken und Industrieschloten allein in der alten Bundesrepublik. Die unseligen Braunkohlekraftwerke der DDR taten ein Übriges. Eine intensiv-impulsive Umweltdebatte forderte rasches Handeln: Filter in den Kraftwerken sorgten alsbald für einen deutlichen Rückgang der Emissionen. Autos bekamen Katalysatoren verpasst. Auch das half und der Wald berappelte sich vieler Unkenrufe zum Trotz. Der Wald war fortan wieder wichtiger „Sauerstoff-Lieferant“, Wohnort und Heimat vieler geheimnisvoll-mystischer Zwerge und Riesen – und natürlich das angestammte und beliebte Zuhause für Wanderfreundinnen und -freunde, nicht nur im SGV, sondern ab 1989/90 im ganzen wiedervereinten Deutschland.

Und wie sieht es heute aus? Drei Dürre-Sommer und der Borkenkäfer haben unserem Wald arg zugesetzt. Laut dem jüngsten Waldzustandsbericht des Thünen-Instituts ist nur noch ein Fünftel der Baumkronen in deutschen Wäldern gesund. 37 % der kranken Bäume fallen unter die höchste Schadenskategorie und 42 % unter die Warnstufe. Summa summarum stellt der Bericht fest, dass es dem deutschen Wald seit dem Beginn der jährlichen Erhebungen im Jahr 1984 noch nie so schlecht ging wie heute! „Die Stürme, die Dürre, der massive Borkenkäferbefall und auch die vermehrten Waldbrände der vergangenen drei Jahre haben dem Wald in Deutschland massiv geschadet“, heißt es im Bundeslandwirtschaftsministerium. Schon im Bericht für 2019 waren die Zahlen historisch schlecht gewesen, doch im vergangenen Jahr stiegen die Schäden noch einmal an. Wie kam es dazu? Es gibt keine alleinige Ursache für den aktuellen Zustand des Waldes. Es ist vielmehr ein ganzes Bündel von Gegebenheiten, das negative Auswirkungen auf das Ökosystem Wald nimmt – und auch künftig nehmen wird, wenn nicht rasch gehandelt wird: Der motorisierte Verkehr hat dramatisch zugenommen und einen Teil der Einsparungen von Kohlendioxid wieder „aufgebraucht“. Darüber hinaus gelangt Stickstoff aus der Landwirtschaft in die Wälder und reichert sich dort an. Die Klimaveränderung sorgt für sehr trockene und lange Hitzeperioden, was die Bäume zunehmend schwächt und ihnen sozusagen die Kraft nimmt, Schädlinge abzuwehren. Hinzu kommt, dass seit Anfang des 19. Jahrhunderts von den Hessen und später den Preußen vor allem Fichten gepflanzt wurden, der „Brotbaum“ des Sauer- und des Siegerlandes. Grund dafür war die Tatsache, dass die Buchenwälder zu diesem Zeitpunkt stark übernutzt und die Waldböden entsprechend devastiert waren, sodass man glaubte, nur mit der anspruchslosen Fichte könne man unter diesen schwierigen Bedingungen überhaupt wieder Wald begründen. Fichten stehen häufig in Monokulturen, auch an solchen Standorten, an denen besser Laubwald stehen sollte. Stürme, Hitze und Dürre setzen insbesondere der Fichte schlimm zu. Auf die „angeschlagenen“ Bäume stürzt sich der Borkenkäfer, der sich überdies durch die Klimaveränderung fast explosionsartig verbreitet. Gab es bisher zwei Borkenkäfer-Generationen pro Jahr, so sind es aktuell drei und eine vierte Generation im Spätsommer ist nicht auszuschließen. Hinzu kommt, dass der Borkenkäfer weiter in die Hochlagen vordringt. Die bisherige Grenze von etwa 600 Metern über NN hat er an verschiedenen Stellen bereits übersprungen.

Am Waldessaume träumt die Föhre,
Am Himmel weiße Wölkchen nur,
Es ist so still, daß ich sie höre,
Die tiefe Stille der Natur …

(Theodor Fontane, 1819-1898)

Noch bestimmt die Fichte das Landschaftsbild des Sauerlandes - doch das wird sich in nächster Zukunft ändern. Foto: © Peter Kracht

Künftig Mischwälder aus
mehreren Baumarten

Was ist zu tun? Die Situation ist mancherorts wahrhaftig dramatisch. Die vom Käfer befallenen Bäume müssen möglichst rasch aus dem Wald herausgeholt werden, ansonsten fliegt nach wenigen Wochen die nächste Käfergeneration aus und befällt die nächsten gesunden Bäume. Und der Wald wird in Zukunft anders aussehen als bisher: Künftig werden Mischwälder aus mehreren Baumarten das SGV Land bedecken, die Fichte wird nur noch eine Baumart unter anderen sein. Zur Wiederbewaldung kommen klimastabile Mischbaumarten infrage, Eiche, Buche, Weißtanne, Douglasie, Küstentanne und weitere Arten. Im Klartext: Der Wald verändert sich in seinem Aussehen – und das nachdrücklich und nachhaltig: Statt Fichten-Monokulturen werden (und müssen!) in nicht allzu ferner Zukunft klimastabile Mischwälder die Herzen der Wanderinnen und Wan-
derer erfreuen.

Wegemarkiererin Alexandra Busch blickt auf eine Kahlfläche am Möhnesee, unmittelbar am Parkplatz zwischen Torhaus und See. Auf unsere Wegemarkiererinnen und -markierer wartet eine wahre Herkules-Aufgabe. Foto: © Ralf Litera

Zum Wandern gehören Wanderwege und Wegezeichen. Auch in diesem Bereich gibt es dramatische Auswirkungen: Abgestorbene Bäume müssen mit schwerem Gerät und Holz-LKW aus dem Wald transportiert werden. Insbesondere durch die Schneeschmelze hat sich der Zustand der von den Fahrzeugen genutzten Waldwege deutlich verschlechtert, ja so manche Stelle ist nahezu unpassierbar geworden. Doch nicht nur das: Mit den Bäumen sind auch die an ihnen angebrachten Wegezeichen verschwunden. Nach Schätzungen mehrerer Wanderfreundinnen und -freunde, eigenen Recherchen und den Beobachtungen von Wegemarkiererin Alexandra Busch und Revierförsterin Anna-Maria Hille am Möhnesee (siehe auch unser Titelbild) dürften aktuell gut 20 Prozent der Wegezeichen fehlen. Diese Zahl dürfte durch die weitergehenden Forstarbeiten womöglich noch steigen.

SGV Wegemarkierer stehen vor
einer wahren Herkules-Aufgabe

Das wirft die nächste Frage auf: Gerade im Sauer- und Siegerland gibt es mehrere zertifizierte Wanderwege, die nach dem Qualitäts-Katalog des Deutschen Wanderverbandes bestimmte Voraussetzungen erfüllen müssen, etwa die der durchgängigen Markierung. Es wird für die SGV Wegemarkierer eine wahre Herkules-Arbeit sein, die Streckenabschnitte mit fehlenden Zeichen möglichst rasch wieder „unverlaufbar“ zu machen. Als Fazit darf man festhalten: Den Wald wird es auch weiterhin geben. Ein Leben von Menschen auf der Welt ist ohne Wald schlicht und ergreifend nicht denkbar. Die Aufgabe der Zukunft ist indes gewaltig: Nach einer groben Schätzung des Landesbetriebes Wald und Holz NRW sind für die Aufforstung der in Südwestfalen jetzt schon kahlen Flächen (und das Ende ist ja noch nicht absehbar) zwischen 150 und 200 Mio. Pflanzen notwendig – eine fürwahr gigantische Zahl! Die Hoffnung für das Wanderjahr 2021 klingt nach dem Gesagten vielleicht etwas komisch, ist aber der besonderen Situation geschuldet: Hoffen wir auf einen kühleren und feuchteren Sommer als in den letzten drei Jahren – das freut die Fichte und dann kann sich der Borkenkäfer nicht mehr so stark verbreiten. Das wäre sicherlich ein wichtiger Etappen-Sieg für unseren Wald, mehr (noch) nicht. Aber immerhin!

Wer die Aussicht auf den Wilzenberg, den heiligen Berg des Sauerlandes, einmal im Morgennebel erlebt hat, der weiß, was Wanderfreude bedeutet! Foto: © Heike Schulte-Belke

O Täler weit, o Höhen,
O schöner, grüner Wald,
Du meiner Lust und Wehen
Andächtger Aufenthalt!
Da draußen, stets betrogen,
saust die geschäftge Welt,
Schlag noch einmal den Bogen
Um mich, du grünes Zelt! ...

(Conrad Ferdinand Meyer 1825-1898)

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